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"Jineolojî ist eine Wissenschaft"

Interview mit Dejla Haidar aus der Selbstverwaltungsregion Nord- und Ostsyrien

Interview mit Dejla Haidar (Übersetzt von Flê Mereto)

„Wissenschaft der Frauen“, „Kurdischer Feminismus“ – Umschreibungen wie diese verbergen sich hinter dem Begriff „Jineloji“. Aus dem Wunsch, Frauen in Kurdistan mehr Selbstbestimmung und Bildung zu ermöglichen, ist mit den Jahren eine Bewegung entstanden, die dazu geführt hat, dass es mittlerweile Forschungs- und Ausbildungszentren, Institute und weitere Einrichtungen in Nord- und Ostsyrien und mit Rojava in Nordsyrien eine eigene demokratische Föderation gibt.

An der Hochschule Emden/Leer ist in diesen Tagen eine der Frauen zu Gast, die diesen Weg unterstützen und mitgestalten möchten: Dejla Haidar ist Jineolojî-Dozentin aus der Selbstverwaltungsregion Nord- und Ostsyrien und wird bei einem Fachtag, zu dem der Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit auf Initiative von Mechthild Exo für Dienstag, 7. März, eingeladen hat, über Bildungskonzepte, Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und demokratische Selbstverantwortung sprechen.

Frau Haidar, wie wird an den neuen, demokratischen Universitäten in Rojava ein freiheitliches Verständnis von Frauen sichtbar?

Die Frauen sind überall vertreten und sichtbar. Alle Institutionen und Fachbereiche werden von einer Frau und einem Mann gemeinsam geleitet. Die Anzahl der Dozentinnen und Studentinnen ist höher als die ihrer männlichen Kollegen und Kommilitonen. Die Frauen sind zuhause nicht gefangen, sondern in allen Bereichen des Lebens vertreten und sichtbar. Die Wissenschaft der Frau und des Lebens macht das freiheitliche Verständnis von Frauen in der Gesellschaft noch mehr sichtbar.

Die Wissenschaft Jineolojî wird gelegentlich auch als „Kurdischer Feminismus“ erklärt. Warum ist das auch Ihrer Sicht nicht ganz zutreffend?

Jineolojî ist eine Wissenschaft, sie gehört keiner Bevölkerungsgruppe und sie ist international, im Gegensatz dazu sind Feminismen Theorien und Bewegungen. Der Begriff „Jineolojî“ wurde das erste Mal von A. Öcalan erwähnt und er sagte, dass Jineolojî keine Wissenschaft ist, die sich nur auf Kurdinnen bezieht oder nur die Freiheit der kurdischen Frauen thematisiert, sondern eine Wissenschaft für alle Frauen, für alle Menschen der Welt ist.

Was genau bedeutet Jineolojî für sie ganz persönlich?

Für mich persönlich ist Jineolojî grundlegend für den Aufbau eines freiheitlichen demokratischen Lebens. Wir erleben Femizide, Gewalt gegen Frauen und Massaker. Ich denke, Jineolojî entwickelt nachhaltige und langfristige Lösungsvorschläge zu vielen gesellschaftlichen Problemen. Aus diesem Grund ist die Jineolojî-Bewegung ein Schutzschild für unsere Gesellschaft.

Was möchten Sie den Teilnehmenden des Fachtags an der Hochschule in Emden vermitteln?

Ich möchte den Teilnehmenden des Fachtags vor allem meine Erfahrungen in schweren Zeiten, wie Krieg und Vertreibung, vermitteln. Durch Hochschulpartnerschaften, wie zwischen unserer Universität und Hochschule Emden/Leer, ist es möglich die Wissenschaft in Kriegsgebieten zu fördern und sich auszutauschen. Dadurch bekommt die Wissenschaft mehr Raum.

Was sind Ihrer Ansicht nach wichtige Punkte in Bezug auf eine nachhaltige Hochschulentwicklung?

Es ist wichtig, dass die Studierenden durch das Studium an unseren Universitäten für Ökologie und Nachhaltigkeit bewusster werden und nicht verschwenderisch handeln. Die Probleme, wie Wasserknappheit, fehlende Stromversorgung und Verbreitung der Wüste, müssen verstanden werden. Diese sind wichtige Themen an unseren Universitäten. Zum Beispiel konnten engagierte Studierende und Bürgerinnen, die im Verein „Keziyên Kesk“ aktiv sind, gemeinsam mit einem französischen Institut Bäume pflanzen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihres Landes?

Ich wünsche mir für die Zukunft meines Landes, dass die Erfolge, die wir seit 2011 erlangt haben, noch größer werden. Das System unseres Landes heißt demokratischer Konföderalismus, dessen drei Säulen Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie sind. Aufgrund der Angriffe der Türkei und des IS sind unsere demokratischen Werte in Gefahr. Eine internationale Anerkennung der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien kann verhindern, dass weitere völkerrechtswidrige Angriffe stattfinden.

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Der Fachtag endete mit der Unterzeichnung des erneuerten Kooperationsvertrags zwischen der Hochschule Emden/Leer in Ostfriesland und der Rojava-Universität im nordostsyrischen Qamişlo.

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